Tee trinken, aber richtig
Eine der schönsten Erinnerungen an meine Kindheit sind die gemeinsamen täglichen Teezeiten. Jeden Tag, pünktlich um 11.00 Uhr vormittags und nachmittags um 15.30 Uhr war bei uns zu Hause gemeinsames Teetrinken. Es kam schon mal vor, dass ein Mittagessen ausfallen konnte, wenn die Eltern zu viel zu tun hatten, doch die Teezeiten wurden immer eingehalten.
Alle Familienmitglieder und Angestellten versammelten sich am großen hölzernen Küchentisch, auf dem meist schon ein Teller mit Brotschnittchen oder Keksen in der Mitte stand. Ebenfalls stand auf dem Tisch ein wunderschönes Teestövchen mit einem brennenden Teelicht darin. Das Teestövchen war ein Erbstück meiner Urgroßmutter und wurde in Ehren gehalten. Rundherum standen sorgsam die kleinen Teetassen, alle mit den typischen Teelöffeln bestückt.
Erst wenn alle eingetrudelt waren, wurde der Tee mit frisch gekochtem Wasser aufgegossen. Meine Mutter sagte immer, dass es nicht genüge, wenn das Wasser gekocht hat. Es müsse wirklich sofort nach dem Kochen auf die vorher angewärmten Teeblätter gegossen werden. „Hett kookt Water, is keen kookend Water!“
Hatte der Tee vier Minuten gezogen, begann es ringsumher am Tisch zu klingeln. Wenn die Kluntjes in die Tassen gegeben wurden, entstand ein einzigartiger Klang, an dem jeder von Weitem schon hören kann, dass an einem Ort Tee getrunken wird. Diese Klänge vergisst man nie und sie vermitteln mir heute noch das Gefühl von Geborgenheit und Gemütlichkeit.
Erst dann goss meine Mutter den Tee ritualmäßig in die Tassen. Und wieder entstand dabei ein Geräusch, dass es so nur beim Teetrinken zu hören gibt. Es begann laut und fröhlich zu Knacken und zu Knistern, wenn der heiße Tee über die Kluntjes gegossen wurde.
War der Tee eingeschenkt, kam das absolute Highlight. „Dat Wulkje!“ Das Wölkchen, war die Krönung einer leckeren und belebend wirkenden Tasse Tee. In einer breiten, flachen Schüssel stand immer Kuhmilch, die ich täglich vom Bauern holte, bereit. Diese Milch war naturbelassen und enthielt ihren ganzen natürlichen Fettanteil. Ließ man die Milch einige Stunden stehen, dann trennte sich das Fett von der Molke und es entstand eine leckere Sahneschicht an der Oberfläche, die an Köstlichkeit nicht zu übertreffen war. Diese Sahneschicht schöpfte meine Mutter mit einem winzigen Sahnelöffel von der Milch ab und legte sie fast liebevoll auf den Tee in den Teetassen. Da die Sahne oben schwamm, lag sie sich wie eine kleine Wolke auf dem Tee. Für uns Kinder begann daraufhin ein spannendes Ratespiel, bei dem wir versuchten, aus den sich bildenden Formen irgendwelche Figuren oder Dinge zu erkennen.
Und wer glaubt, dass jetzt der Löffel zum Einsatz kommen sollte, um den Tee umzurühren und abzukühlen, der irrt! Denn das Besondere am Teetrinken ist, dass man in der Tasse drei verschiedene Geschmacksrichtungen hat und somit auch nur drei Schlucke Tee. Der ersten Schluck ist der sanfte, wo die Sahne den Geschmack bestimmt. Der zweite Schluck ist der herbe, wo das Teearoma sich eröffnet (Banausen sagen er ist bitter) und weil das Beste meistens zum Schluss kommt, folgt als Drittes der süße Abschluss, dessen Geschmack ganz vom sich auflösenden Kluntje bestimmt wird.
Und der Löffel? Der hat natürlich auch eine Funktion. Nach der letzten Tasse Tee, derer es mindestens drei bedarf, kann man mit dem kleinen Löffel, die Reste des Kluntjes herausfischen. Anschließen verbleibt der Löffel als Zeichen, dass man genug Tee getrunken hat, in der Tasse. Oder aber man klingelt mal wieder, in dem man leicht mit dem Löffel an die Tasse klopft. So weiß der Gastgeber, dass man noch Teedurst hat.
Mehr noch als bei jedem anderen gemeinsamen Ereignis, fanden zu Teezeiten, die schönsten Gespräche und Döntjes Platz. Ein Austausch zwischen den Menschen, für den man sich einfach Zeit nahm, egal wie viel Arbeit und Sorgen ein Tag mit sich brachte. Somit ist das Teetrinken viel mehr als eine kleine Auszeit, es hat fast therapeutische Wirkung auf Körper und Seele.
Text „Tee trinken, aber richtig“ kommt von Opa Lingen
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