Lingen würdigt die Marketenderinnen
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Öffentliche Plätze sind nicht nur ein Ort für die Menschen, zusammenzukommen und sich für gemeinsame Verabredungen oder einen Kaffee zu treffen. Sie dienen auch häufig als Gedenkstätten, mit Statuen, Tafeln und Plaketten, die auf historische Ereignisse verweisen und die Bedeutung des Platzes hervorheben. Oftmals ist es auch der Platz selbst, der nach bedeutenden Persönlichkeiten oder wichtigen Ereignissen benannt ist. Gut eine Woche vor dem historischen Kivelingsfest 2024 und ein Jahr nach der Einweihung des Platzes der Marketenderinnen erhielt die Stadt Lingen von den Kivelingen ein Geschenk.

Das historische Kivelingsfest
Das Kivelingsfest wird seit mehr als 600 Jahren von der Stadt Lingen (Ems) gefeiert. Im 14. Jahrhundert befand sich die Stadt Lingen unter Belagerung durch den Grafen von Tecklenburg. Die Kämpfe dauerten drei Tage lang und forderten einen hohen Blutzoll an der Bevölkerung, auf dass auch die männliche, unverheiratete Jugend zur Verteidigung der Stadt aufgerufen wurde. Diese wurden auch als „Kivelinge“, also als „kleine Kämpfer“, bezeichnet. Letztlich errangen sie den Sieg über die Belagerer und damit durfte die Jugend drei Tage lang ausgelassen feiern.
Seitdem gehört das Kivelingsfest zum feierlichen Repertoire der Stadt Lingen. Dieser Brauch wird auch heute noch mit bunten, historischen Gewändern und mittelalterlicher Handwerkskunst gefeiert. Um dieser Zeit so authentisch nahe wie möglich zu sein, wird dabei auf moderne Technik verzichtet. Viele kulturelle Veranstaltungen runden das Programm jedes Jahr ab.
Das Kivelingsfest im Zeichen der Marketenderinnen
Dieses Jahr gedenkt das Fest nicht nur dem heroischen Kampf der „kleinen Kämpfer“. Auch die Marketenderinnen sollen geehrt werden. Sie begleiteten und unterstützten damals die Unverheirateten und Jungen bei der Verteidigung der Stadt. Beim alle drei Jahre stattfindenden historischen Volksfest des Bürgersohne Aufzugs spielen sie seit jeher eine wichtige Rolle. Nicht immer im Vordergrund, doch sie helfen bei der Planung und Durchführung des Festes. Dabei haben die Marketenderinnen häufig einen Freund oder ein Familienmitglied, das Teil des Vereins „Die Kivelinge“ ist, und engagieren sich ehrenamtlich.
Zur Ehrung dieses Engagements und des Beitrags der historischen Marketenderinnen an der Verteidigung der Stadt, wurde der Platz der Marketenderinnen eine Woche vor dem historischen Kivelingsfest 2023 eingeweiht. Der Platz liegt zwischen der Großen Straße bis zur Kirchstraße und galt fortan als weitestgehend verkehrsfreier Raum.
Zudem gehört es seit dem Kivelingsfest 1949 zur Tradition, dass die Kivelinge ihrer Heimatstadt Lingen ein Geschenk machen. Im Jahr 2024 war es dieses Mal die Statue einer Marketenderin, eine Bronzefigur, geschaffen von dem Künstlerehepaar Leo und Renate Janischowsky. Diese Statue stellt eine Bürgertochter in einfacher, traditioneller Kleidung dar. Das Kleid ist praktisch und einfach gehalten. Sie hat die Hände in die Hüften gestemmt, als mache sie sich sogleich an die Arbeit, und trägt einen Blumenkranz auf dem Haupt. Ihre Haltung ist stolz und tatkräftig. Sie schaut vom 1,6 Tonnen schweren Sandsteinsockel aus mit einem wachsamen Auge auf den Platz der Marketenderinnen.
Die Statue einer Marketenderin befindet sich vor dem Geschäft Kornblume in der Kivelingsstraße. Zur Einweihung der Statue wurde während des Kivelingsfestes der Frauen und ihren besonderen kulturellen und sozialen Engagement in Lingen gedacht. Auf dem Sandsteinsockel ist der Leitspruch der Kivelinge eingraviert: „Pro Civibus et Civitate“ („Für die Bürger und die Stadt“), zusammen mit dem ehemaligen Wappen der Kivelinge.
Dieses Wappen zeigt drei Türme, stellvertretend für die damaligen Stadttore von Lingen, umgeben von drei Seerosenblättern. Heute gilt dieses Wappen als Königinnenwappen, dabei zierte es bis 1949 den Verein der Kivelinge. Im Jahr 1952 wechselte der Verein zu einem anderen Wappen. Die drei Seerosen sind jedoch weiterhin auf den Ketten der Ehrendamen zu sehen.
Die Bedeutung der Marketenderinnen für das Kivelingsfest
Bei der Veranstaltung zur Einführung der Statue waren der Oberbürgermeister Dieter Krone sowie der Kommandeur der Kivelinge, Peter Flatken, zugegen. Bei seiner Rede verwies Peter Flatken auf die Bedeutung der Geschenke an die Stadt Lingen. Diese hatten das Stadtbild seit jeher geprägt und unterstrichen damit die historische Bedeutung des Vereins. Die Statue der Marketenderin stellt das 26. Geschenk seit der ersten Schenkung im Jahre 1949 dar.
Weiterhin lobte der Kivelinge-Kommandeur die Rolle der Marketenderinnen als „junge Frauen, die den Männern in nichts nachstehen“. Dabei helfen die Frauen nicht nur beim Basteln oder indem sie die Kinder bei Laune halten. Sie können auch ordentlich zupacken und stellen so manch handwerkliches Geschick zur Schau, welches über das Können der Burschen hinausgeht. Im Anschluss kamen auch die amtierende Königin, Birte Bontenbroich, sowie die Königin von 2002, Sabine Diepenbrock, über die Bedeutung der Statue zu sprechen.
Die Veranstaltung endete mit der Ehrung von Lena-Marieke Rosemann. Sie erhielt das Verdienstkreuz der Kivelinge für ihre Leistungen als Marketenderin und Grafikdesignerin. Ihre gestalterischen Künste waren seit mehreren Jahren eine wertvolle Unterstützung für die Vermarktung des Festes. Sie erstellte allein für das anstehende Kivelingsfest zahlreiche Banner und Werbemittel. Andere Marketenderinnen bekamen als Würdigung einen Pin mit dem Emblem der Königinnenkette überreicht.
Die historischen Marketenderinnen
Mit der Statue wollen die Kivelinge nicht nur die Marketenderinnen würdigen, die an der Planung und Durchführung des Festes beteiligt sind. Auch andere „hunderttausende Frauen“ sollen damit geehrt werden. Ein „Marketender“ war im Mittelalter bis zur Neuzeit ein spezieller Händler, der bei militärischen Kampagnen die Truppen mit seinen Waren versorgte und bei Laune hielt.
Der Begriff „Marketender“ geht auf das italienische Wort „mercatante“ zurück und bedeutet schlicht „Händler“. Im Militärwesen sind damit jedoch spezielle Händler gemeint, die während eines Feldzugs ihre Waren und Dienstleistungen anboten. Sie begleiteten den Tross und waren ein fester Bestandteil vieler Armeen.
Truppen hatten oftmals ihren eigenen Marketender. Diese waren auch notwendig, denn die Heere mussten sich häufig selbst versorgen. Diese Händler verkauften den Soldaten Lebensmittel, Alkohol und andere Genussmittel wie Tabak oder verschiedene Gebrauchsgegenstände. Es handelte sich nicht um fahrende Händler, die zufällig in der Nähe des Heeres waren, sondern um direkt vom Heer zugeteilte Versorger der Truppen. Eine besondere Rolle kam den weiblichen Marketenderinnen zu. Diese verkauften nicht nur ihre Waren, sondern häufig auch ihren Körper. Im Laufe der Zeit definierten die sexuellen Dienstleistungen die Marketenderinnen mehr als ihre Tätigkeiten als Händlerinnen. Abgesehen davon unterstützten die Marketenderinnen die Truppen auch mit alltäglichen Diensten. Sie kochten, flickten Kleidung und kümmerten sich verschiedene Angelegenheiten des Lagerlebens. In der Tat waren nicht alle „Lagerdirnen“ von Beruf, viele waren auch die Ehefrauen von Soldaten und Söldnern.
Mit der Zeit hatte sich jedoch die Bedeutung der Marketenderinnen gewandelt. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Söldnerarmeen zu stehenden Heeren und somit wurden auch die Marketender überflüssig. Heute sind die Marketenderinnen weder fahrende, die Truppen begleitende Händlerinnen, noch sind sie als „Soldatenfrauen“ tätig. Der Begriff steht zumeist für Frauen, die Marsch- und Blaskapellen mit vielfältigen Tätigkeiten unterstützen. In Lingen und beim Kivelingsfest hat sich der Begriff als eine Bezeichnung für die Frauen und Mädchen erhalten, die auf verschiedene Weise beim Aufbau der Veranstaltung mithelfen.
Text + Bild „Lingen würdigt die Marketenderinnen“ kommt von Opa Lingen
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