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Fahrradfahren in der Fußgängerzone in Lingen – erlauben oder nicht?
Fußgängerzonen dienen in erster Linie zu Fuß gehenden Menschen als Einkaufs-, Spazier- und Erholungsräume. Die Menschen können sich dort ungestört bewegen, einkaufen und verweilen. Damit sind Fußgängerzonen der einzige öffentliche Ort, der ausschließlich Fußgängern vorbehalten ist. Andere Verkehrsmittel wie Autos, Lieferverkehr und Fahrräder sind dort nicht oder nur sehr eingeschränkt erlaubt. Dies macht Fußgängerzonen für den Einzelhandel attraktiv, da sich die Menschen dort längere Zeit entspannt aufhalten.
In letzter Zeit gibt es jedoch immer häufiger Bestrebungen, Fußgängerzonen für Fahrradfahrer zu öffnen. Die RADSAM-Kampagne wirbt – unterstützt durch die Bundesregierung – für die Öffnung der Fußgängerzonen für Fahrräder sowie für ein achtsames Miteinander von Radfahrern und Fußgängern. Immer mehr Städte schließen sich der Kampagne an und öffnen ihre innerstädtischen Fußgängerzonen ganz oder teilweise für den Radverkehr.
In diesem Artikel stelle ich zunächst die aktuellen rechtlichen Grundlagen zum Thema Radfahren in Fußgängerzonen sowie die RADSAM-Kampagne näher vor. Anschließend diskutiere ich Argumente für und gegen die Öffnung der Fußgängerzonen für den Radverkehr.
Rechtliche Grundlagen
Zunächst einmal gilt auch in Fußgängerzonen die allgemeine Straßenverkehrsordnung (StVO). Fußgängerzonen sind grundsätzlich zu Fuß gehenden Menschen vorbehalten. Rechtlich ist jedoch eine Freigabe für zeitweisen Lieferverkehr und auch für den Fahrradverkehr möglich. Diese Freigabe muss auf einem zusätzlichen Schild angegeben werden. Dabei kann die Freigabe für Radfahrer umfassend, also an allen Tagen und zu allen Uhrzeiten erfolgen, oder beschränkt werden. In diesem Fall müssen die freigegebenen Zeiten ausgewiesen werden. Auch eine räumliche Beschränkung, beispielsweise in Form eines markierten Fahrradweges, ist möglich.
Rechtlich ist eine Freigabe für Radfahrer an folgende Bedingungen gebunden:
•Die Radfahrer müssen auf die Fußgänger Rücksicht nehmen.
•Die Fußgänger dürfen nicht gefährdet oder behindert werden.
•Die Fußgänger haben Vorrang. Im Zweifelsfall müssen die Radfahrer warten oder absteigen.
•Die Radfahrer dürfen nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren. Diese Schrittgeschwindigkeit ist allerdings rechtlich nicht exakt definiert.
Eine rechtliche Grauzone stellt das sogenannte „Rollern“ dar. Beim Stehen mit einem Fuß auf einer Pedale und dem gleichzeitigen Abstoßen mit dem anderen Fuß ist ein Radfahrer deutlich schneller unterwegs als ein Fußgänger. Es ist jedoch nicht eindeutig festgelegt, ob dies in Fußgängerzonen erlaubt ist.
Wer trotz eines Verbotes in der Fußgängerzone mit dem Fahrrad fährt, muss gemäß des aktuellen Bußgeldkataloges mit einem Bußgeld von 15 € rechnen. Bei nachgewiesener Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer oder Fußgänger erhöht sich dieses Bußgeld auf 20 bis 30 €.
Die RADSAM-Kampagne
Die RADSAM-Kampagne wird durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert. Sie wirbt für eine angemessene Öffnung der Fußgängerzonen für Radfahrer. Dabei setzt sie sich für ein rücksichtsvolles, freundliches und achtsames Miteinander von Fahrradfahrern und Fußgängern ein.
Zur Förderung des Fahrradfahrens aus Umweltgründen und zur Unterstützung des lokalen Einzelhandels überlegen immer mehr Städte, ihre Fußgängerzonen für Radfahrer zu öffnen. Die RADSAM-Kampagne betont, dass die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Verkehrsteilnehmer in jedem Fall gewahrt bleiben müssen. Dazu zählt einerseits das Bedürfnis der Fahrradfahrer, zügig zu Einkaufsstätten in den Fußgängerzonen zu gelangen. Andererseits muss auch das Bedürfnis der Fußgänger, ungestört und in Ruhe flanieren zu können, berücksichtigt werden. Nur, wenn auf alle Interessen gleichermaßen eingegangen wird, kann das Miteinander konfliktfrei gelingen.
Zur Realisierung dieses Miteinanders gibt es in verschiedenen Städten bislang ganz unterschiedliche Regelungen. In einigen Städten sind die Fußgängerzonen vollständig und ohne zeitliche und räumliche Begrenzung für Radfahrer geöffnet (z.B. Emsdetten, Solingen, Kempen). In anderen Städten ist Radfahren in Fußgängerzonen grundsätzlich und ohne Ausnahme verboten (z.B. Hamburg-Altona, Leverkusen, Siegburg). Dazwischen gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Ausnahmeregelungen, von einer Öffnung in den Nachtstunden (z.B. Eisenach) über eine Öffnung von Teilbereichen und Teilstraßenzügen (z.B. Holzminden) bis hin zu einer saisonal begrenzten Freigabe (z.B. Langeoog, Schwerin). Viele weitere Gemeinden diskutieren aktuell die Möglichkeit einer Freigabe ihrer Fußgängerzonen oder nehmen an entsprechenden Pilotprojekten teil.
Argumente für und gegen eine Öffnung der Fußgängerzonen
Argumente für eine Öffnung der Fußgängerzonen für Radfahrer
Viele Radfahrer nutzen auch heute schon die Fußgängerzonen, auch wenn dies nicht explizit erlaubt ist. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Das Durchfahren der Fußgängerzone ist der direkteste Weg zu den Geschäften, die dort liegen.
- Das Durchfahren der Fußgängerzone ist oft der kürzeste Weg zu Zielen, die dahinter liegen.
- Die erlaubten Verkehrswege bedeuten für Radfahrer oft einen zu großen Umweg oder zu große Gefahren durch den Autoverkehr. Oft sind auch schlicht keine geeigneten Fahrradwege vorhanden.
Dies bedeutet, dass für Radfahrer die Fußgängerzone häufig der deutlich schnellere und sicherere Weg ans Ziel ist, als die Hauptverkehrsstraßen.
Für die Kommunen dagegen ist das wichtigste Argument für die Freigabe der Fußgängerzonen die Stärkung des Einzelhandels. Sie erhoffen sich eine stärkere Frequentierung ihrer Ladengeschäfte, wenn diese von Radfahrern direkt und unkompliziert erreicht werden können. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass Läden in den Innenstädten wieder stärker genutzt werden als Läden außerhalb des Stadtgebietes oder in Industriegebieten. Dem Aussterben der Innenstädte soll vorgebeugt werden. Auch in Sachen Umweltpolitik unterstützen viele Gemeinden den Umstieg ihrer Bürger auf das Fahrrad. In vielen Gemeinden herrschen in den Innenstädten zu viel Autoverkehr und akute Parkplatznot, sodass das Fahrrad eine gute Alternative sein könnte.
Argumente gegen eine Öffnung der Fußgängerzonen für Radfahrer
Bislang waren Fußgängerzonen in der Regel ausschließlich Fußgängern vorbehalten. Mit der Öffnung der Fußgängerzonen für Fahrradfahrer steigt zunächst einmal grundsätzlich das Konfliktpotenzial, da hier zwei unterschiedliche Verkehrsgruppen mit unterschiedlichen Interessen aufeinander treffen.
Viele Fußgänger äußern große Sicherheitsbedenken, wenn Fußgängerzonen für Radfahrer freigegeben werden. Sie fühlen sich durch die erhöhte Geschwindigkeit der Radfahrer gefährdet. Insbesondere entsteht diese Gefährdung dadurch, dass Radfahrer kein Fahrgeräusch erzeugen und deshalb von Fußgängern oft erst sehr spät wahrgenommen werden. Zusammenstöße sind da oft vorprogrammiert. Doch selbst wenn es nicht zu einem Zusammenstoß kommt, ist ein Erschrecken des Fußgängers bei einem plötzlich auftauchenden Radfahrer unvermeidlich.
Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und kleine Kinder. Sie haben aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität oder ihres Alters oft keine ausreichenden Möglichkeiten, rasch genug zu reagieren, wenn sich plötzlich ein Fahrrad nähert. Obendrein wirken sich Verletzungen durch einen Zusammenstoß bei ihnen umso gravierender aus.
Für Eltern kleiner Kinder bedeutet die Freigabe für den Radverkehr außerdem, dass sie die Kinder nicht mehr bedenkenlos in der Fußgängerzone frei herumlaufen lassen können. Sie müssen sie stattdessen an die Hand nehmen und eng begleiten, wodurch die Fußgängerzonen ihr besonderer Wert verloren geht.
Abgesehen von der Gefährdung der Sicherheit stellt eine Fußgängerzone auch einen Erholungsraum dar. Flanierende Fußgänger wollen sich hier ungestört aufhalten, ohne ständig in Hab-Acht-Stellung sein zu müssen. Dieser Charakter der Fußgängerzonen verliert sich bei einer Öffnung für den Fahrradverkehr.
Mein persönliches Fazit
Bei der Diskussion um eine Öffnung der Fußgängerzone in Lingen für den Fahrradverkehr müssen die Bedürfnisse und Interessen aller beteiligten Parteien geachtet werden. Insbesondere die Sicherheitsbedenken von besonders gefährdeten Personengruppen wie Senioren, kleinen Kindern und Menschen mit Behinderungen müssen ernst genommen werden. Zum Schutz dieser Gruppen erscheint mir eine Öffnung der Fußgängerzonen für Fahrradfahrer nicht sinnvoll.
Die Fußgängerzone sollte als ungestörter Erholungsraum für Fußgänger erhalten bleiben.
Wenn eine Freigabe der Fußgängerzone für Fahrräder erfolgt, dann darf dies nur unter der zwingenden Bedingung von mehr Kontrollen durch Ordnungsbeamte, einer unbedingten Achtung der Schrittgeschwindigkeit und einer räumlichen Trennung von Rad- und Fußgängerverkehr erfolgen.
Viel sinnvoller erscheint mir dagegen der Ausbau der Radwege an Hauptverkehrsstraßen in Lingen. Damit kann die Sicherheit für Fahrradfahrer dort erhöht werden. Gleichzeitig bliebe der Erholungswert der Fußgängerzone erhalten. Auf diese Weise könnten die Interessen beider Parteien gewahrt bleiben und Konflikte von vorneherein vermieden werden.
Hier gibt es Informationen über die RADSAM-Kampagne
Hier gibt es Informationen über den Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V
Bild & Text „Fahrradfahren in der Fußgängerzone“ kommt von Opa Lingen