Parkplatznot
Drei Monate lang soll Freiberuflerin Christine in der Hauptstadt eines norddeutschen Bundeslandes arbeiten, das namentlich nicht genannt werden möchte. Frohgemut bepackt sie ihr Auto mit allem, was man im Vierteljahr so braucht, freut sich, dass sie die Koffer nicht über endlose Bahnsteige schleppen muss und düst los. Nachträglich wird sie behaupten, dass kurzfristiges Schleppen dreier großer Koffer und zweier Taschen selbst in überfüllten Zügen das kleinere Übel darstellt. Doch noch weiß Christine nichts von der drohenden Katastrophe. Dies ändert sich kurz nach ihrer Ankunft: Der Vermieter der Ferienwohnung eröffnet Christine, dass er ihr leider keinen Parkplatz zur Verfügung stellen könne. Nicht schlimm, denn die Firma, für die sie ab morgen zwölf Wochen lang tätig sein wird, besitzt sicher eigene Parkplätze. Denkt sie. Und behält Recht: Mindestens hundert firmeneigene Parkplätze strahlen ihr entgegen, die bei genauerem Hinsehen jedoch einen Schönheitsfehler aufweisen: Jeder einzelne von ihnen ist reserviert. »Einen Parkplatz haben wir nicht, aber benutzen Sie doch den öffentlichen Kurzzeitparkplatz in der Nähe«, gibt man Christine Auskunft. Fünf Minuten später fährt sie auf dem Parkplatz ein. Ein Euro pro Stunde!, verkündet das Schild neben der Einfahrt. Christine überschlägt, dass das Parken einen guten Teil ihres Verdienstes auffressen würde. Einen Augenblick lang erwägt sie, ihren Wagen einfach verschrotten zu lassen. Dann aber begibt sie sich zurück in die Verwaltung. »Sie könnten aufs Rathaus gehen und einen Anwohnerparkausweis beantragen«, erfährt sie. »Aber heute ist dort keiner mehr!«
Christines erster Weg am nächsten Morgen führt sie aufs Rathaus, wo sie einer reserviert dreinblickenden Dame mit Hornbrille das Problem vorträgt. »Für wie lange brauchen Sie den Parkausweis?«, erkundigt sich die Hornbrille gelangweilt. »Für drei Monate«, antwortet Christine arglos. Hornbrille greift zum Telefon.
Keine Minute später findet sich Christine, flankiert von zwei Beamten, in einem anderen Raum wieder. »Sie arbeiten hier für drei Monate? Dann müssen Sie sich mit Hauptwohnsitz anmelden!«, verkündet ein gestrenger Staatsdiener mit einem Gesichtsausdruck, als sei Christine Dreck unter seiner Nase, während sein Kollege diskret die Tür verstellt, um Christine an der etwaigen Flucht zu hindern. Seine Miene lässt keinen Zweifel daran, dass ihm unstete Personen, die vierteljährlich die Stadt wechseln, höchst suspekt sind.
Eine geschlagene Stunde später verlässt Christine das Rathaus, nun als unfreiwillige Bürgerin einer fremden Stadt, jedoch in Besitz des kostbaren Parkausweises, über den sie sich mindestens so freut wie über das eine Woche später eintreffende Schreiben der GEZ, sie habe umgehend ihre Rundfunkgeräte anzumelden. Kein Problem, drei formlose Schreiben genügen, den Irrtum aufzuklären, selbstverständlich mit beigefügter Erklärung des Vermieters, die Geräte seien bereits durch ihn ordnungsgemäß angemeldet.
Fünf Monate später. Christine ist seit acht Wochen wieder daheim, ordnungsgemäß gemeldet. Die Landtagswahlen stehen bevor. Doch wo bleibt ihre Wahlbenachrichtigung? – Auf Nachfrage erfährt sie, dass sie nicht lange genug Bürgerin in Bayern sei, um an der Wahl teilnehmen zu können. »Moment, ich bin in Bayern geboren und lebe hier schon seit einigen Jahren wieder!« – »Mein Computer sagt, dass Sie sich vor zwei Monaten hier angemeldet haben!« Langsam dämmert es ihr, dass die Demokratie dort endet, wo die Parkplatznot beginnt …
Text „Anwohnerparkausweis“ kommt von Opa Lingen
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