„Es ist nicht die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester, in der man sich die Pfunde zugelegt, sondern die Zeit zwischen Silvester und Weihnachten!“
Wie wahr, wie wahr doch dieses alte Sprichwort ist. Sind wir doch mal ehrlich. Die zwei, drei Kilo, die wir uns über die Feiertage anfuttern, fallen doch eigentlich kaum auf zwischen den anderen acht bis zehn, die wir uns im Laufe der vorangegangenen Monate zugelegt haben. Zumal die zuletzt genannten acht Kilo schon fest auf den Hüften, am Bauch und unter dem Kinn liegen, während die erstgenannten drei Kilo noch frei im Körper schweben und vermutlich in einer Woche wieder verschwinden würden, wenn man sie ließe.
Aber alljährlich sind es diese drei Kilo Übergewicht, die es nach Silvester wieder abzutrainieren oder runterzuhungern gilt. Mir kam das schon immer spanisch vor. Wie viel Fett, Schokolade und Zucker muss man eigentlich verschlingen, damit nach Abzug der verbrannten Energie noch drei Kilo am Körper hängenbleiben? Fünf Kilo Lebkuchenherzen? 30 Tafeln Schokolade? Drei komplette Enten? Ich fürchte, das reicht nicht und es müsste wesentlich mehr sein, als ein Magen in einer Woche bereit ist, auszuhalten. Dank Sodbrennen, Übelkeit und Atemnot, geht aber irgendwann einfach nichts mehr hinein. Meistens ist dies schon nach der zweiten Tafel Schokolade der Fall. Mal ehrlich, da kann doch etwas nicht stimmen? Zumal mit Sicherheit auch für Bewegung gesorgt ist, beim obligatorischen Weihnachtsspaziergang, beim Abwaschen von Geschirrbergen, beim Entsorgen von sorgsam gefaltetem Weihnachtspapier, dem Zubereiten von Drei- bis Viergangmenüs, beim Auf- und Abräumen von Essgeschirr, Kaffeegeschirr und Brotbrettchen für all die lieben Gäste, die eigentlich auch nur kommen, um sich hinterher zu beklagen, dass alles wieder viel zu viel und viel zu lecker war, und man deshalb mit Bauchschmerzen und völlig erledigt nach Hause gehen müsse …
Die Wahrheit, weshalb diese drei Kilo immer wieder als Sündenbock herhalten müssen, ist eine ganz andere, wie ich jetzt herausgefunden habe. Die ersten Sonnenstrahlen, an einem der jungfräulichen Januartage, bewirken nämlich eine Art Erwachen der Erinnerung. Dick eingepackt in Figur unbetonte Jacken, zugeschnürt und bis zur Unkenntlichkeit vermummt mit Schal und Mütze, spaziert man zufrieden blinzend den ersten zarten Sonnenstrahlen entgegen. Und dann passiert es: „Die Sonne, wie angenehm ihre Strahlen sich auf Stirn und Wangen anfühlen, ach wird das schön, wenn wir erst wieder Sommer haben, das dicke Winterzeug hinten im Schrank hängt und man sich leicht bekleidet nach draußen wagen kann …“ Das ist der Augenblick, in dem den Dreikilozuvielbesitzern der Atem stockt. Leicht bekleidet? Und mein Bauch? Wo lass’ ich den? Jetzt ist er gut versteckt unter Pullovern und Jacken. Aber dann? Wohin damit?
Zu Hause folgt sofort der Gang zur Waage. Von wegen, drei Kilo! Acht sind es mindestens zu viel. Und ein Blick in den Spiegel, aus seitlicher Perspektive, lässt noch einige mehr vermuten. Das bindet man aber natürlich nicht jedem auf die Nase. Es bleibt bei den drei Kilo. Denn oh Wunder, spätestens beim nächsten Einkauf, trifft man Frau Schmidt und Frau Müller wieder, mit denen man vor Weihnachten noch die Zubereitung der Braten diskutiert hat. Und wie unsinnig es ist, gerade zu Weihnachten die Kalorienzufuhr einzuschränken. Genau diese Leidensgenossen haben nichts Besseres zu tun, als sich über die eigenen drei neuen Kilos zu beschweren, die Weihnachten ihnen beschert hat. Und jede hat einen besonders effektiven Tipp, wie man sie ganz schnell wieder herunter bekommt. Von Fasten über Trennkost und Diätdrinks ist alles dabei. Selber schwört man natürlich auch auf seine hundertprozentige Methode und alle gehen zufrieden nach Hause. Im Grunde braucht man eigentlich gar nichts tun im Augenblick, weil so ziemlich alle Leidensgenossen drei Kilo zugenommen haben und sie alle auch ihre anderen acht Kilos ignorieren. Für Sport ist es draußen ohnehin viel zu kalt und bis zum Sommer sind es noch sechs Monate. Ach, überhaupt: wozu sich jetzt kasteien, steht doch Ostern schon wieder vor der Tür – oder besser im Einkaufsladen im Regal.
Text „Drei Kilo Satire“ von Opa Lingen
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