Ich lebte früher recht zurückgezogen auf dem Lande. Das hatte den Vorteil, dass ich mehr freien Raum und frische Luft um mich herum hatte, als Stadtmenschen. Es hatte aber auch den Vorteil, dass ich nicht immer alles mitbekommen habe, was in Lingen, an diversen Veranstaltungen, Festen und Vergnügungen mit Rumtata angeboten wurde. Hin und wieder erfolgte dieser Vorteil jedoch zum Nachteil. So ist es nicht verwunderlich, dass ich vor einigen Jahren in ein dickes Fettnäpfchen getreten bin, weil mich wieder einmal, ein aus den USA herübergestreamtes Ritual, nicht erreicht hatte.
Eines Tages – es war schon Herbst – klingelte es an der Haustür. Ich öffnete und vor mir stand ein junger Mann – gut zwei Köpfe größer als ich. Das war zwar ungewöhnlich aber noch in Ordnung.
„Moin, …“, sagte ich, und wollte mich erkundigen, was ich für den jungen Herrn tun könne, als er plötzlich einen armdicken Ast hinter seinem Rücken hervorholte, ihn drohend auf mich richtete und mir unverhohlen ins Gesicht rief:
„Entweder Sie geben mir freiwillig Süßes, oder es gibt Saures!“
Im ersten Augenblick erschrak ich, doch mir wurde sofort klar, dass ich ohne zu zögern energisch reagieren musste, um nicht den Anschein zu erwecken, dass ich ein schwächliche Natur bin, die man mal eben so am späten Nachmittag überfallen und ausrauben konnte.
Für gewöhnlich diskutiere ich Meinungsverschiedenheiten mit einer Engelsgeduld aus. Deshalb war ich von mir selbst überrascht, als ich mich keifen hörte: „Das ist ja wohl das Allerletzte! So eine Frechheit! Mach, dass du wegkommst, sonst rufe ich die Polizei!“
Damit hatte der Angreifer wohl nicht gerechnet. Er riss die Augen auf, stolperte einen Schritt zurück und lief bis über die Ohren knallrot an. Sein Blick drückte tiefe Bestürzung und Unverständnis aus. Dann drehte er sich um, murmelte irgendetwas Unverständliches und eilte kopfschüttelnd die Eingangsstufen hinunter. Mein Blutdruck hatte die 180 Atü überschritten, ich knallte die Tür ins Schloss und atmete erleichtert auf. „Boah, das ist gerade noch mal gut gegangen“, lobte ich mich und fühlte mich sehr stolz und mutig.
Am Abend telefonierte ich mit meiner ältesten Tochter und erzählte ihr von meinem heldenhaften Verhalten. Natürlich erwartete ich ein dickes Lob von ihr. Sie hörte sich meine Geschichte an, dann stöhnte sie kurz auf:
„Aaach Papa! Das war ganz bestimmt kein Einbrecher!“
„Na hör mal, glaubst Du vielleicht es war ein Astverkäufer??? Wer sich so benimmt, hat ganz bestimmt nichts Gutes im Sinn“, entgegnete ich aufgebracht.
„Papa, weißt Du denn nicht, dass heute Halloween ist?“
„Was ist Hallo Wien?“
„Heute ist der 31. Oktober, Halloween-Tag. Da macht man doch solche Späße!“
„Hääh?? Verstehe kein Wort. Was ist denn Hallo Wien? Nie gehört und lustig fand ich das schon gar nicht.“
Tja, und dann wurde ich altes Landei erstmal darüber aufgeklärt, dass Halloween ein uraltes heidnisches Fest der Kelten ist, die mit diesem Ritual am Tag der Sonnenwende, die Geister ihrer Verstorbenen davon abhalten wollten, sich in einen irdischen Körper einzunisten, um sich so ein Leben nach dem Tod zu sichern. Deshalb maskieren und verkleiden sich die Halloween-Fans noch heute auf die grausigste Art und Weise. Sie erschrecken ihre Opfer fast zu Tode und entschwinden erst wieder, wenn das Opfer sie mit einem Geschenk bestochen hat. Weigert sich das Opfer, dann hat es mit einem bösen Streich zu rechnen.
Nun, auf die Verkleidung hatte mein Geisteraustreiber allerdings verzichtet. Vielleicht hätte ich anhand einer Kostümierung doch etwas anders reagiert. Möglicherweise wäre ich aber auch gleich schreiend ans Telefon gestürzt, um Polizei und Feuerwehr zu alarmieren. Na ja, für Jugendliche mag das eine Gaudi sein, mir persönlich gefällt der Brauch des Martinisingens im November, wo die Kinder mit selbst gebastelten Laternen von Haus zu Haus gehen und nette Liedchen singen, wesentlich besser.
Text + Bild „Halloween-Tag“ kommt von Opa Lingen
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