Kivelinge

Lingen und die Kivelinge

Was haben die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst an der Ostseeküste, der Steigerwald um Fatschenbrunn in Bayern, die Insel Helgoland in der Nordsee und die an der Ems gelegene Stadt Lingen in Niedersachsen seit dem 11. Dezember 2018 gemein? Sie gehören zu den insgesamt achtzehn Örtlichkeiten mit einer jeweils eigenen Traditionspflege, welche an diesem Datum von der Deutschen UNESCO-Kommission offiziell zum Immateriellen Kulturerbe Deutschlands erkoren wurde. Bezüglich Lingen handelt es sich um den Aufzug der Kivelinge. Und obwohl „Die Kivelinge e. V.“ zu den ältesten Vereinen Deutschlands gehört, soll es immer noch Menschen geben, die vielleicht die schönen kunstvollen Türen aus Darßen, die Fatschenbrunner Hutzeln bzw. gedörrten Birnen oder die Helgoländer Börteboote kennen, aber nicht die Kivelinge. Daher zunächst die Erklärung, wer oder was die Lingener Kivelinge sind.

Zu ihrer Historie ist allerdings einzuräumen, dass es in Lingen im Jahre 1548 einen großen Brand gegeben hat. Auch viele Dokumente zur Stadtgeschichte gingen dabei verloren, und es kann nicht mehr belegt werden, was genau zur ersten Formierung der Kivelinge führte. Nach der Schilderung in ihrem Kompaniebuch (von 1786) jedenfalls wurde im Jahre 1372 eine armierte „Burgerzoons-Schöttery“ zum Schutz der Bewohner Lingens aufgestellt. Sie setzte sich aus unverheirateten Söhnen der Stadt zusammen, und zwar ab dem jugendlichen Alter von 16 Jahren. Die Beteiligten der Bürgerwehr nannte sich „die Kivelinge“; sie schuldeten der Obrigkeit Gehorsam, genossen aber auch Privilegien. Allgemein wird zur Gründung des Verbundes berichtet, dass Lingen sich unter Belagerung befand und erst die Kivelinge es schafften, den Feind zu vertreiben. (An dieser Stelle lässt sich einfügen, dass eine niedrige Anzahl älterer wehrfähiger Männer in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ggf. nicht nur durch Verluste bei kriegerischen Auseinandersetzungen erklärbar wären, sondern auch durch die Pestwelle in Europa ab ca. 1347. Der „Schwarze Tod“ soll rund ein Drittel aller Europäer das Leben gekostet haben.) In einer Sekundärquelle heißt es, dass das Kivelingsfest mit seinem Dreijahresturnus die Belohnung für die Kivelinge gewesen wäre. Jedenfalls wurde im Zuge ihres Erfolges für Lingen eine dauerhafte Streitkraft aus Bürgersöhnen eingerichtet. Man kann auch sagen, sie wurden zum Kriegsdienst verpflichtet, denn das Mittelalter war keine friedliche Zeit und Lingen mit seiner Lage an wichtigen Handelswegen von militärischer Bedeutung. Die heutigen Aufzüge der Kivelinge entwickelten sich aus dem – damals mit hartem Pflichtcharakter – Präsentationen bzw. Aufmärschen der früheren Burgerzoons-Schöttery von Lingen. (Es wird geschätzt, dass es diesen Verbund ungefähr bis zum Abschleifen der Lingener Festung (1630) gegeben hat. Im Jahre 1607 war innerhalb dieser ein Feuer ausgebrochen; es ergriff auch den Pulverturm, wo das Schießpulver lagerte, was zu einer starken Explosion mit vielen Opfern führte. Der Turmkeller blieb erhalten, er wurde während des 2. Weltkrieges als Luftschutzraum genutzt. Bei Kriegsende 1945 erlaubte der zuständige Kommandant der britischen Besatzung die Fortführung der Vereinsaktivitäten der Kivelinge. So gab es 1949 wieder ein Kivelingsfest, nach zwölfjähriger Pause. Zum Fest gehörte die Bewirtung von rund 200 Flüchtlingskindern mit Kakao und Kuchen im Kolpinghaus. Im Jahre 1960 baute die Kivelingssektion „Die Welfen“ über dem erhaltenen Pulverturm-Keller erneut einen Turm. Nach der Tradition übergeben die Kivelinge vor jedem Kivelingsfest der Stadt ein Geschenk – 1949 eine Bürgermeisterkette, 1952 ein Glockenspiel. Im Jahre 1961 schenkten sie ihr einen selbst gebauten Turm.)

Geschenk der Kivelinge
Geschenk 1978 Landsknecht am Museum Burgstraße

Woher der Begriff „Kiveling“ abzuleiten ist, ist übrigens nicht eindeutig geklärt. Im Mittelhochdeutschen bedeutet „kiven“ an und für sich „zanken“, „keifen“, für gerichtliche Auseinandersetzungen soll der Ausdruck ebenfalls gebraucht worden sein und lateinisch „civis lingensis“ meint „Lingener Bürger“. Der Verein der Kivelinge selbst tendiert zur Bedeutung „kleiner Kämpfer“, was auch zum geringen Alter der tapfer kämpfenden damaligen Kivelinge passt. Außerhalb der Kivelingsfeste führen manche der Kivelingsmannen unserer Zeit durch ihre Heimatstadt. Bei der Besichtigungsrunde fehlt auch das „Kivelingshaus“ nicht, Stammsitz des Vereins und dessen Eigentum seit dem 25. April 1964. Es handelt sich um ein historisches Gebäude aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert, dessen ursprüngliches Erscheinungsbild im Rahmen einer aufwendigen Renovierung und Restaurierung so weit als möglich rekonstruiert und wiedererschaffen wurde. Das einstige „Haus 134“ trägt heute die Adresse „Am Markt 8“. Die Kivelinge, generell aktiv in der Kultur- und Denkmalpflege ihrer Stadt, bewahren Historizität und Funktionalität des malerischen Baus.

Rathaustreppe Kivelingsfest-2017
Lingen Kivelingsfest-2017 Rathaustreppe

Das Kivelingsfest 2020

Ab dem 30. Mai (Samstag) bis inkl. 1. Juni 2020 (Pfingstmontag) sollte es wieder so weit sein: Unter dem Leitspruch „Civis civis civibus!“ verwandelt sich die Innenstadt Lingens in einen fröhlichen bunten Markt mit zahlreichen Attraktionen, die im Mittelalter bekannt waren oder eine kultivierte Reminiszenz an solche darstellen.

Wegen der Corona-Pandemie hat der Kivelingsvorstand um Kommandeur Nils Deymann hat den getroffenen Beschluss zur Absage mitgeteilt.

Kein Kivelingsfest in Lingen in diesem Jahr!

Aktuelle Planungen sehen vor, das Kivelingsfest in das Jahr 2021 zu verschieben und somit nicht ausfallen zu lassen.

Kivelinge Absage

Bild & Text „Die Kivelinge“ kommt von Opa Lingen

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