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Mensch Opa Lingen – Ärgere Dich nicht
Rückblende Silvester 2019
Der Wechsel ins neue Jahrzehnt wurde bei Oma und Opa in der Wohnung in Lingen gefeiert. Das dreigeschossige Gebäude steht am Rande der Stadt. Wir hatten zwischen den Tagen, wie die Zeit von Weihnachten bis Neujahr gerne genannt wird, Zeit für unterhaltsame und auch ernste Stunden.
Wir, das sind
– Oma unter 70 und absolut rüstig und fit
– Opa knapp unter 70 und weniger rüstig, aber fit
– Tochter und Schwiegersohn im „besten mittleren“ Alter
– Enkel Jerad ist ein aufgeweckter Viertklässler auf dem Sprung, im Sommer aufs Gymnasium zu wechseln
– Enkel Luke kann als fleißiger Kita-Besucher die Einschulung im Sommer kaum noch erwarten
– Haustier Arno, ein reinrassiger Schäferhund
Oma schmeißt den Rentnerhaushalt, und Opa spart mit einem kleinen Nebenjob im Internet für den Osterurlaub – eine Flusskreuzfahrt auf der Donau von Passau über Wien bis nach Budapest und zurück. Der Sommerurlaub zu Viert ist für die Ostsee geplant; mit der Autofahrt vom Wohnsitz im Raum Heinsberg mit einer Übernachtung bei Oma und Opa in Lingen und anschließender Weiterfahrt zum Urlaubsziel mit Sommer, Sonne, Meer.
Alles war bestens durchgestylt, als wir auf das neue Jahr und Jahrzehnt angestoßen haben; die Erwachsenen mit Sekt, die Kinder mit Saft im Sektglas und Arno mit einigen Extra-Leckerlies. Am ersten Januarwochenende kehrte dann in dem Haus am Lingener Stadtrand die altbekannte Ruhe ein. Das neue Jahr konnte kommen!
Freitag, 13. März
Und wie es kam!
Sinnigerweise am Freitag, dem 13. März, also zehn Wochen nach unserem Familientreffen, liefen die Drähte heiß. Das einzige Thema des Tages und am ganzen Wochenende war „Corona, Corona und nochmal Corona“.
Die Familie in Heinsberg stand von jetzt auf gleich vor einem schier unlösbaren Problemberg mit
– Home Office für Papa
– Home Office für Mama
– Schulschließung mit Home Schooling für Jerad
– Kitaschließung für Luke
Zum Job meines Schwiegersohnes gehört es zu organisieren und zu strukturieren. Oma ist körperlich und geistig absolut fit, und Opa kann auch noch gut mithalten. Uns allen wurde an diesem Wochenende klar, dass Corona mitsamt dem Lockdown mehr sein würde als nur ein vorübergehender Schnupfen.
Für uns stand schnell fest
– die Familie hält zusammen und unterstützt sich wo sie kann
– der Job mit Geld verdienen und Arbeitsplatz erhalten steht im Vordergrund
– unsere Enkel sollen möglichst problemlos durch diese Ausnahmesituation kommen
Das Ergebnis von langem Hin und Her, Für und Wider, Hü und Hott sah so aus, dass unsere Enkel auf einen vorgezogenen Osterurlaub zu Oma und Opa nach Lingen verreisen würden. Die Kita für Luke war zu, und Home Schooling für Jerad geht ohnehin per Internet und Telefon. Mama und Papa können sich auf ihren Home Job konzentrieren und um die Kinder kümmern sich Oma und Opa.
Am darauffolgenden Wochenende war es dann so weit. Samstags kam die ganze Familie mit Sack und Pack in Lingen an, und sonntags fuhren Mama und Papa wieder zurück. Hier in Lingen blieben zwei Enkelkinder, die wir bislang nur von Kurzbesuchen und im Beisein ihrer Eltern kannten. Jetzt ging es darum, als Großeltern und mittlerweile völlig ungeübte Erzieher den beiden Kindern etwa drei Wochen lang einen Aufenthalt in der Fremde zu gestalten und zu bieten.
Planung ist das halbe Leben
Unser bislang beschauliches Rentnerleben „einfach so in den Tag hinein“ war allein schon deswegen nicht mehr möglich, weil wir jetzt nicht alleine waren. Wir mussten uns an die Zeit vor mehreren Jahrzehnten erinnern, als wie die Erzieher unserer Tochter und eine, wenn auch kleine Familie waren. Und so waren die nächsten drei Wochen für uns Großeltern eine Lehr- und Lernzeit mit ganz neuen Erfahrungen. Hier sind einige davon.
Gestern noch beschauliches Rentnerleben – heute Familien-Fulltime-Job
Die Umstellung konnte krasser kaum sein und musste von uns Großeltern auch erst einmal verdaut werden. Schließlich sind wir Siebzig und keine Dreißig.
• Online Home Schooling mit Jerad
Mein Internetanschluss war die entscheidende Grundlage für das Online Home Schooling mit Jerad Lehrer*innen. Das Problem war, an einem Rechner als Endgerät alles unter einen Hut zu bringen; also meinen Rentnerjob für unser Urlaubsgeld, Jerad eigene tägliche Lernzeit sowie die Kommunikation mit seinen Lehrern. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Der Arbeitsplatz am PC muss immer wieder aufs Neue von jedem bestückt und leergeräumt werden. Der Tag wurde ziemlich zerstückelt, was der Konzentration des Jungen nicht guttat. Im Endeffekt ist es uns in drei Wochen nicht gelungen, Kontinuität in das Home Schooling zu bringen.
• Kita-Ersatz für Luke
Oma kümmerte sich um Luke und hatte die ihr bekannte Doppelbelastung als sorgende Hausfrau und als Erzieherin. Das war vor vierzig Jahren deutlich einfacher als heute. Nach dem gemeinsamen Frühstück gehörte der Vormittag Luke und Oma. Doch damit nicht genug. Die restlichen Stunden am Nachmittag, und das Tag für Tag, mussten ebenfalls sinnvoll sowie unter Aufsicht gefüllt werden. Da war ich gefragt, damit Oma den Haushalt erledigen und sich auch mal ausruhen konnte. Jerad + Luke + Rentnerjob waren auch für mich kein Kinderspiel. Und nicht zu vergessen Arno, der seinerseits mehrere Male täglich Gassi gehen wollte oder besser gesagt musste.
• Unternehmungen in der Lingener Natur
Corona bedeutet, und deswegen waren unsere Enkel ja hauptsächlich bei ihren Großeltern, möglichst wenig Kontakt zu anderen Personen zu haben. Wir lebten sozusagen in unserer eigenen Familienblase. Darauf achteten wir ganz besonders. Außer dem Einkauf vermieden wir Großeltern jeden Kontakt. Zu den wenigen Unternehmungen gehörten gemeinsame Spaziergänge zu fünft. Ab und zu machten Opa und Jerad eine kleine Radtour auf Radwegen im Lingener Stadtgebiet wie dem Emsradweg, auf der Emsland-Route oder der Dortmund-Ems-Kanal-Route. Das Wetter war durchweg trocken und regelrecht einladend.
Doch trotz Ideen und Abwechslungen können auch noch so aktive Großeltern ihren Enkeln deren Freundinnen und Freunde in Schule und Kita nicht ersetzen. Da floss doch heimlich so manche Träne, auch wegen dem Heimweh zu Eltern und dem eigenen Kinderzimmer.
• Familienabende mit Spielen und Erzählen
Zu einer schönen Gewohnheit mit viel Spaß und Freude für alle hat sich die Familienstunde nach dem Abendessen entwickelt. Die Zeit bis zum Schlafengehen der Kleinen verbrachten wir gemeinsam mit Spielen; von Mensch ärgere dich nicht über andere Brettspiele bis hin zu kindergerechten Kartenspielen. Unsere Enkel lernten von uns und wir von ihnen. Für mich war es ein ganz neues Erlebnis, im Lingener Fachhandel für Kinderspiele zu stöbern und mich beraten zu lassen.
• Briefe schreiben anstelle von Skypen
Jerad hat ein eigenes Smartphone, Luke nicht. Wir einigten uns darauf, Mama und Papa nicht nur anzurufen, sondern sie auch mit dem einen oder anderen Brief von Jerad und dem selbstgemalten Bild von Luke zu überraschen. Der Gang zum Briefkasten und das Einwerfen der Post war eine ganz neue Erfahrung für beide. Außerdem waren schreiben und formulieren von wöchentlich ein bis zwei Briefen eine sinnvolle Ergänzung für Jerad Home Schooling. Für ihn waren es übrigens die ersten selbstgeschriebenen Briefe in seinem noch kleinen Leben.
Fazit – Corona ändert Vieles
Es gäbe noch einiges mehr an kleinen und größeren Erfahrungen zu berichten, die wir Großeltern in den gut drei Wochen im Zeitraffer gemacht haben oder besser gesagt machen mussten. Fest steht für uns, dass Corona vieles verändert – und dass diese Veränderungen zukünftig ohne Oma und Opa vonstattengehen werden. Sie müssen vielmehr in das Familienleben integriert werden. Wie das gehen kann und soll, wissen wir beide nicht. Gott sei Dank ist das auch nicht unser Problem. Schließlich haben wir schon mal erzogen und sind jetzt Siebzig.
Übrigens – Unser Osterurlaub ist Corona-bedingt in Wasser – oder anders gesagt in die Donau gefallen. Ostern haben wir in unserer Heimatstadt Lingen [Ems] verbracht. Urlaubsreif waren wir beide, und erholsam war das auch!
Text „Oma und Opa in Corona-Zeiten“ kommt von Opa Lingen
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