Frühjahrsputz

Endlich ist auch das letzte Windows-Colour Bild mit Schneeflocken und Weihnachtsmann, unter splitternden Fingernägeln von den Fensterscheiben gepult. Sämtliche Weihnachtskartons fristen ihr Dasein wieder ganz hinten im Schrank, gleich neben dem Silvesterzubehörkarton. Die dunkle Jahreszeit geht dem Ende entgegen und die eigentliche Wohnfläche wird wieder sichtbar.

Doch wenn man jetzt genau hinsieht – und das lässt sich beim besten Willen nicht mehr vermeiden – dann weicht die Erleichterung der Ernüchterung: Die Fenster haben irgendwie den Durchblick verloren. Während der letzten Wochen – eigentlich sind es ja schon Monate – fiel das nicht auf, denn Lichterketten und bunte Bildchen lenkten geschickt von Putzmüdigkeit ab. Ränder von Saugnäpfen und Tesafilmreste, kommen an den Fensterrahmen wunderbar zu Geltung, und ein dicker Grauschleier aus Staub, den Regen und Schnee auf den Scheiben hinterlassen haben, hindert das frühlingsschwangere Sonnenlicht am Eindringen in die gute Stube.

Und dann geschieht – vorzugsweise bei Frauen – etwas Seltsames. Plötzlich packt es sie und eh man sich versieht, haben sie die Gardinen abgenommen und in der Waschmaschine verschwinden lassen, einen Eimer mit Seifenlauge gefüllt, einen Lederlappen geschnappt und ruckzuck ist das erste Fenster geputzt. Spätestens jetzt, ist jedem erfahrenen Ehemann klar, dass er sich mit irgendeiner fadenscheinigen Ausrede – im wahrsten Sinne des Wortes – aus dem Staub machen sollte. Erfahrungsgemäß kann er dafür locker ein ganzes Angelwochenende einplanen.

Denn für Frauen ist das, was jetzt kommt, mehr ein Bedürfnis als Arbeit. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie nach sieben geputzten Fenstern, immer noch voller Elan, den Lappen schwingen, und mit gierigen Augen nach versteckten Schmutzecken suchen. Und sie werden fündig! Kein Mann würde auf die Idee kommen, Schränke und Möbel von den Wänden zu rücken, um dort sauberzumachen! Da guckt doch nie einer hin!

Nicht so Frau. Sämtliche Möbel und Regale werden von den Wänden gepflückt und gründlich gereinigt. Anschließend finden sie sich für gewöhnlich an einem anderen Platz als dem ursprünglichen wieder, denn Frau nutzt die Frühjahrsputzaktion, um sich ein völlig neues Wohngefühl zu verschaffen. Neue Deko –weiß Gott, woher sie plötzlich kommt – darf auch nicht fehlen – vor allem an den Fenstern nicht!

Und wie gut, dass eine Wohnung meistens mehr als einen Raum hat! Denn jetzt dreht Frau das Radio mit ihrem Lieblingssender auf volle Lautstärke und auf geht’s zu neuen Taten Richtung Schlafzimmer. Die Bettwäsche wird abgezogen, das Inlett aus dem Fenster gehängt und die Matratzen hochgestellt. Die Leichen unter dem Bett lassen sich auf diese Weise bequem mit dem Staubsauger einsammeln. Nachtschränke werden entrümpelt und von den zerknüllten Zeugen der letzten Erkältung befreit. Fliegenbeine und Spinnenexkremente, von denen keiner etwas wusste, verschwinden vom 2 m hohen Kleiderschrank. (Vergessen sie nicht das Lob dafür!) Selbiger wird nach ausgiebiger Reinigung und Entsorgung überflüssiger – weil aus der Mode gekommener – Klamotten, mit atemraubenden Duftsäckchen bestückt.

Danach sieht man Frau mit hochrotem Kopf, zersausten Haaren und Essigflaschen im Gepäck ins Badezimmer fliegen. Es wird geschrubbt und gewienert und endlich wird klar, wozu sie das ganze Jahr über die alten Zahnbürsten gesammelt hat: Sie sind unverzichtbar bei der Reinigung von Ecken, Wasserhähnen, Abflüssen und Fugen. Sie alle schreien förmlich nach einer Zahnbürstenbehandlung.

Und dann kommt der Härtetest. Das Kinderzimmer. Man sieht Frau jetzt nur noch in halb gebückter Haltung, Müllsack um Müllsack vor die Tür schleppen. Still ist sie geworden und spät in der Nacht ist es, wenn sie in ihr Bett robbt. Aber eins ist klar: Morgen ist die Küche dran, die braucht einen ganzen Tag fürsorgliche Pflege für sich allein. Dann sieht man Frau wieder fröhlich mit dem Besen tanzen. Und dann? Tja, dann ist der Frühling von draußen plötzlich ins Haus eingezogen! Und ganz sicher wird Frau den Fisch, der ihrem Mann am Wochenende an den Haken gegangen ist, nicht in ihrer frisch geputzten Küche braten wollen.
Wetten?

Text „Frühjahrsputz“ kommt von Opa Lingen

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