Die Hälfte unseres Lebens besteht aus Weihnachten
Das Weihnachtsfest steht vor der Tür. Schon seit mindestens fünf Wochen. Klar, wir schreiben zwar erst Oktober, doch schon seit Anfang September finden Lebkuchen, Schokokugeln und Weihnachtsmänner den Weg in unsere Supermärkte.
Gerade viel beschäftigte Businessleute brauchen schließlich ein ausreichend großes Zeitfenster, in welches sie ihre Weihnachtseinkäufe eintakten können: Weihnachtsmänner von September bis Dezember, das macht einschließlich Resteverkauf von Januar bis Ende Februar eine nicht nur gefühlte Länge des Weihnachtsfestes von sechs Monaten pro Jahr. Ist es nicht schön, die nostalgischen Erinnerungen der Kindheit auf diese Weise nicht nur ins Erwachsenenleben zu retten, sondern sie auch noch wesentlich ausgiebiger auskosten zu können, als das in früheren Zeiten der Fall war?
Wer mit Weihnachten nicht nur Nostalgie verbindet, sondern Kindheitserinnerungen an gestresste Eltern, streitende Geschwister und nerv tötende Verwandtenbesuche mit sich herumschleppt, wird den permanenten Weihnachtsalarm weniger witzig finden. Tatsächlich gibt es Statistiken, die belegen, dass die Zahl der eingereichten Scheidungsbegehren im Jahresverlauf nie so hoch ist, wie am ersten Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen. Ob all die Schokoweihnachtsmänner dagegen vorbeugen sollen? Wenn ja, dann mit wenig Erfolg.
Wer das entspannte Sommerurlaubsfeeling schlagartig gegen ein unbestimmtes Gefühl der Bedrohung eintauscht, sobald im Bereich der Supermarktkasse die ersten roten Zipfelmützen zu sehen sind, sollte sich in Fatalismus üben: Weihnachten entgeht man nun mal nicht. Weihnachten ist einfach überall. Nahezu immer. Ja, es ist Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen: Wir verbringen die Hälfte unserer Lebenszeit mit der Vor- oder Nachbereitung des Weihnachtsfestes. Die andere Hälfte verwenden wir für Schlankheitskuren, mit welchen wir die Weihnachtsmänner und Festtagsgänse wieder zum Schmelzen bringen, mit unterschiedlichem Erfolg.
Um dem Drama gelassen begegnen zu können, sollten wir unseren Tunnelblick trainieren: Während wir die wegen der sommerlichen Temperaturen Ventilator gekühlten Weihnachtsberge im Kassenbereich einfach übersehen, bleibt unser Auge am Grabbeltisch mit dem verbilligten Katzenfutter hängen. Ja, es ist tatsächlich eine Frage der Übung. Notfalls lohnt es sich sogar, sich extra eine Katze anzuschaffen. Auf diese Weise überbrückt der Weihnachtsmuffel mindestens sechs Wochen, ehe auch das Katzenfutter mit »Lieblings Festtagsmenü« in den Weihnachtsmodus schaltet, doch immerhin ist es dann schon bald Ende Oktober. Kein Zweifel, mit ein wenig vorausschauendem Geschick und sorgfältiger Planung ist es möglich, das bevorstehende Ereignis bis mindestens Allerheiligen nicht einmal ignorieren zu müssen.
Von Großeinkauf bis Weltreise – die richtigen Gegenmittel
Wer auch danach bis wenigstens zum Beginn der Adventszeit der aufdringlichen Vorweihnachtsfreude entgehen möchte, muss zu härteren Maßnahmen greifen: In diesem Fall lohnt es sich, einen sorgfältig geplanten Großeinkauf vorzunehmen und im Monat November einfach keinen Supermarkt mehr zu betreten. Den Fernseher nicht einzuschalten. Die Post nicht zu öffnen. Innenstädte zu meiden und Vorstädte auch. Oder eine dreimonatige Weltreise zu buchen, unter Aussparung der Weihnachtsinsel.
Wer nun allerdings meint, spätestens Ende Februar alles überstanden zu haben, sollte sich nicht verfrüht in Sicherheit wiegen: Die erste Lieferung kalorienreduzierter Schokoladenosterhasen lässt unter Garantie nicht lange auf sich warten. Im Dreierpack sind sie günstiger. Besonders nach Ostern, im Resteverkauf, welcher die unerträglich lange Zeit bis zur Lieferung der ersten neuen Weihnachtsmänner überbrückt, die wir alle schon so sehnsüchtig erwarten …
Bild & Text „Weihnachtsalarm“ kommt von Opa Lingen